Leseprobe

Jede öffentlichen Wiedergabe, auch von Teilen des Textes, bedarf einer ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung der Autorin Martina Rockstroh in Form eines Aufführungsvertrages in dem alle Modalitäten festgelegt werden. 

 

Marktwertstory oder Geld stinkt doch

 

Einakter

 

von Martina Rockstroh

 

 

 

 

 

 

Jede öffentlichen Wiedergabe, auch von Teilen des Textes, bedarf einer ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung der Autorin Martina Rockstroh in Form eines Aufführungsvertrages in dem alle Modalitäten festgelegt werden.

 

 

 

 

Personen:

 

T = Toilettenmann

 

F = Fußballer

 

M = Manager

 

P = Praktikantin

 

A = Arbeiter/ Angestellter

 

B = Broker

 

 

 

Prolog (Einspieler)

 

Ort der Handlung: Büro mit Blick auf die Börse

 

B: Gott erschuf die Welt in sechs Tagen. (Ins Telefon) Folgende Reihenfolge für heute…

 

 

1. Szene / Tag 1

 

Ort der Handlung: vor der Toilettentür

 

Reihenfolge der Warteschlange

 

1. F+T (unterhalten sich lachend über Fußball und Geld)

2. M (liest Zeitung)

3. A (spielt mit dem Handy, Hört Musik)

4. P (mit zusammengekniffenen Beinen)

 

 

P : Bitte, ich hab`s aber wirklich sehr eilig. Könnte ich nicht ausnahmsweise…

 

A : Du weißt doch, wie das hier lang geht. Hättest du eben eher kommen müssen.

 

P : Ich darf ja nicht eher Pause machen, bevor nicht der Chef…

 

M : Das wäre ja noch schöner.Das nächste mal nehme ich wieder einen männlichen Praktikanten.

Die müssen einfach weniger pinkeln!

 

Toilettenspülung geht.

 

T : (öffnet die Tür) Aber selbstverständlich, wohin sie wollen…

 

P : Ich kann das jetzt wirklich bald nicht mehr halten, mir ist schon ganz schlecht.

(Geht zur Seite, man hört es plätschern.)

 

A+M: (sehen sich an)

 

M : Na, die ist entlassen. So eine Sauerei.

 

P : Das habe ich nicht gewollt...(kauert sich auf den Boden, Gesicht versteckt)

 

F : (kommt aus der Toilette) Hier riecht es heute aber ein bisschen nach Armut, was? Muss mal

wieder ordentlich durch geputzt werden.

 

T : Gott ist mir das peinlich, das ist ja noch nie vorgekommen (ordert laut schreiend

Reinigungspersonal)

 

F : (sieht Praktikantin) Hmm nach einem Bad…

 

P : (schaut von unten zu ihm auf, erst ängstlich, dann verstehen, geht erhobenen Hauptes mit F

hinaus)

 

M : (betritt WC)

 

A : Na das ist ja ne ganz clevere, da ist doch unser eins wieder mal der Ar…

(Wort erstirbt im Mund, da T ihn mit eiskaltem Blick ansieht)

 

 

 

 

2. Szene /Tag 2

 

vor der Toilettentür

Reihenfolge der Warteschlange

 

F+P

M

A

 

T : (öffnet die Tür) Die Dame links, der Herr rechts.

 

F : (steckt T ein paar Scheine zu)

 

T : Aber selbstverständlich steht Ihnen das WC-Separee zur Verfügung.

 

A : Also irgendwas läuft hier gerade total schief. Also entweder man arbeitet oder man verdient

Geld. Ich sollte aufhören zu arbeiten und…

 

M : Darüber würde ich an ihrer Stelle nicht so laut nachdenken. (und zu T)Wie wäre es mit einem

kleinen Tipp von dem da. (zeigt nach oben und wedelt mit den Geldscheinen)

 

T : ( Finger auf den Mund, hört in sein Headset) Jawohl, Reihenfolge wird ab sofort geändert.

 

Einspieler

 

Nachrichten – schwerer Unfall für F – Karriere aus – hat die Firma XY gegründet

 

 

T : (will nach den Geldscheinen greifen)

 

M : (winkt ab) Lass mal, damit weiß ich gerade etwas besseres anzufangen.

 

 

 

 

3.Szene/ Tag 3

 

vor der Toilettentür

Reihenfolge der Warteschlange

 

1. F+P; M (belauern sich gegenseitig, T schiebt nach Anweisung F+P oder M an Position 1)

 

3. A

 

T : F+P einen Punkt rauf, bitte in Position 1 treten (zu P gewandt, die schon wieder ein

verkniffenes Gesicht macht) So die Börse will, dürfen Sie jetzt gleich Pipi machen.

(Ausruf) M drei Punkte rauf (Schiebt M auf Position 1)

Jetzt wieder F+P, die Kurse sind heute ziemlich instabil (F+P wieder vorn)

 

A : Kann ich nicht inzwischen gehen?

 

F+P; M; T (drehen sich ruckartig gemeinsam um und sehen A böse an)

 

A : War ja nur eine Frage.

 

T : (schreit auf) Die Aktie M steigt um fünf Punkte. M hat die Firma XY aufgekauft.

 

M : (sieht einmal vielsagend in die Runde und geht ins WC)

 

P : Gott sei Dank, sind wir auch gleich dran.

 

T : Tut mir Leid Mam, aber bei Ihnen sieht es gerade ganz schlecht aus. (Schiebt den verdutzten A

nach vorn)

A : Na so was, ja dann will ich mal (will in die Toilette eintreten aus der gerade M kommt)

 

M : Sieh an – der A (winkt F+P gönnerhaft zu)

 

P : Jetzt ist gleich alles zu spät (kneift die Beine zusammen)

 

M : Das würde ich an ihrer Stelle nicht so sehen. Ich könnte mir da ein Arrangement

vorstellen, dass uns beiden entgegen käme. Mein Angebot steht.

 

P : (reagiert empört, dreht sich dann aber doch noch mal nach M um)

 

 

4. Szene/ Tag 4

 

vor der Toilettentür

Reihenfolge der Warteschlange

 

 

1. M (erscheint größer als vorher)

2. A

3. F+P

 

 

M : Nun P, haben sie es sich überlegt? Noch mal werde ich nicht fragen!

 

P : (F um Verzeihung bittend ansehen) Es ist nur, weil ich es so nötig habe, du weißt ja,

meine Blase ist schwach. (laüft nach vorn zu M)

 

F : Das kannst du doch nicht machen Baby. In eine Scheidung werde ich nicht einwilligen. Da

bin ich völlig ruiniert.

 

M+P: (gehen gemeinsam ins WC)

 

A : Jetzt bist du so richtig im Arsch.

 

F : Voll in der Scheiße (greift sich an den Popo)

 

T : Aber meine Herren, ich darf ja wohl um ein bisschen Contenance bitten.

(während er an der Toilettentür herum putzt zu A) Und, wie geht es ihrer Frau und den

Kindern?

 

A : (hat nicht zugehört, blickt besorgt auf den Hintern von F an dem sich deutlich eine immer

größer werdende Ausbeulung zeigt) In unser aller Interesse, bitte ich die Reihenfolge zu

ändern, bevor wir gleich alle knöcheltief in der Schei… im Kot stehen.

 

T : (dreht sich nach F um und springt in einem Satz auf den Tisch, der neben der WC-Tür

steht)

 

A : (macht auf Zehenspitzen drei große Schritte und steigt auf den Stuhl neben dem Tisch)

 

F : (läuft wie eine Watschel-ente gesengten Hauptes ins WC)

 

T+A: (atmen hörbar tief aus, T wirft A einen Blick zu, der ihn veranlasst schnellstmöglich vom

Stuhl zu springen und die Sitzfläche mit dem Hemdsärmel abzuputzen. T zeigt auf die

Toilettentür und A geht stolz erhobenen Hauptes hindurch.)

 

 

Telefon klingelt

 

T : Großbrand, in meiner Fabrik in Mumbai, 17 Mädchen und Frauen verbrannt. Ja dann schaffen

sie neue heran, rennen ja genug rum dort. Was? Regierung will, dass ich die

Sicherheitsstandards erhöhe? Reden sie kein Blech Mensch, solange dort noch ausreichend

Menschenmaterial zur Verfügung steht, investiere ich doch nicht in so einen Schwachsinn wie

Alarmanlagen und Feuerlöscher. (wählt eine neue Nummer) T hier, ich hoffe, ich muss sie nicht

daran erinnern, wer ihr Gehalt deutlich verbessert...kann ich als erledigt betrachten.

(legt Hörer auf) Elender Kanake.

 

 

5.Szene/ Tag 5

 

vor der Toilettentür

Reihenfolge der Warteschlange

 

1. M+P (plaudern mit T über den letzten Karibikurlaub)

2. A

 

 

P : Die Strände endlos, fast weiß…

 

M : Und die Boys an den Stränden gut gebaut, fast schwarz.

 

P : Du kannst ja auch im Urlaub nicht aufhören zu arbeiten, nie hast du Zeit für mich. Ich

kann auch nicht immer nur schoppen (sich umdrehend) Wie geht es eigentlich F?

 

M : Ich dachte das Kapitel sei abgeschlossen?

 

A : (hört mit Kopfhörern Musik) Waaaas?

 

P : Wo F ist?

 

A : Was weiß ich. Vielleicht ist erja in der Schei...ertrunken. Stand ihm ja bis zum Hals.

 

P : Musst du immer so ordinär sein?

 

F : (Kommt völlig verdreckt auf allen Vieren herein gekrochen)

 

P : ( zu T) Großer Gott, so tun sie doch was, das ist ja eine Zumutung in einer Schlange mit

solchen Pennern.

 

T : Für den Zustand der einzelnen Positionsvertreter bin ich nicht zuständig, nur für die

Reihenfolge. Aber bitte, das WC wäre jetzt frei.

 

M+P: (gehen ins WC)

 

A : (hat bisher nicht mitbekommen, schnuppert plötzlich in die Luft und dreht sich dann abrupt

um) Na du siehst ja Schei...runter gekommen aus. Was ist los Alter?

 

F : Ich will nur pinkeln und dann sterben.

 

T : Das Sterben ist auf unseren WC`s nicht gestattet. Vielleicht erleichtern sie sich woanders.

 

F : (fängt an zu lachen) Du hast keine Ahnung, Freund vergangener Zeiten, wie erleichtert ich

bin, völlig erleichtert, quasi gewichtslos.

 

A : (hilft F auf die Beine, der wie ein Blatt im Wind hin und her schaukelt, wischt sich verstohlen

die Hände an der Hose ab, dreht sich um)

 

F : (bricht zusammen)

 

 

Black

 

A : Vielleicht sollte man die 112…

 

 

 

6.Szene/ Tag 6

 

 

Bühne leer, Krach von umfallenden Stühle, Tumult, dazwischen Wortfetzen: Kursabsturz an der

Börse, Angst vor beginnender Weltwirtschaftskrise, B hat sich aus dem 101 Stockwerk in die

Tiefe gestürzt…

 

 

Dann plötzlich Ruhe.

 

T sitzt am Computertisch als neuer B

 

F kommt in Livree herein als neuer Toilettenmann

 

M+P wie gehabt auf Platz 1, sie tragen schwarze Brillen

 

A steht mit etwas Abstand dahinter

 

 

B : Und alles auf Anfang.

 

 

 

 

Alle bewegen sich, sprechen lautlos. Bühne wird düster. Über WC-Tür erscheint

fortlaufender Text:

 

 

 

 

Als wir versuchten, uns ins neue System einzuklinken, ging der erste Weg zur

Schauspielagentur…

Da sagte man mir – in West-Berlin wohl bemerkt: „Es tut uns Leid, es kennt Sie niemand

und Sie haben hier keinen Marktwert. Wir können Sie nicht vermitteln.“…

Es gibt zwei Begriffe, die mich in meinem Leben umgehauen haben und die mir diese Welt

so richtig deutlich machen.

Einen habe ich im Krieg durch ein Gespräch zwischen zwei Offizieren über uns als letzten

brauchbaren Nachschub für die Front mitbekommen: „Das ist doch hervorragendes

Menschenmaterial!“

Und der andere ist dieser Marktwert – bezogen auf Menschen -; das drückt aus, was ich von

dieser Welt zu halten habe.

 

 

Alfred Müller

 

(einer der bekanntesten Schauspieler der DDR)

 

 

 

                                                                             -Ende-